Meine Tochter und mein Enkel sind zu Besuch. Der Junge ist fünf und geht in den Kindergarten. Wir sitzen nach dem Abendessen noch am Tisch und plaudern. Der Kleine starrt seit längerem gebannt auf die Bierbüchse neben meinem Teller. Ich habe ihm zum Nachtisch eine Süßigkeit aus einer Blechbüchse gegeben, die auch auf dem Tisch steht.
„Opa“, fragt er. „Warum kaufst du Büchsen?“
Ich mißverstehe ihn und beginne lang und breit zu erzählen, wie ich zu der Büchse, in der sich die Süßigkeiten befinden, gekommen bin.
„Nein“, sagt meine Tochter. „Er meint die Bierbüchse. Im Kindergarten lernen sie, daß Getränkedosen nicht gut für die Umwelt sind.“
Dabei grinst sie. Nun sieh zu, Alter, wie du aus der Nummer rauskommst! Aber das denkt sie nur.
Ich erkläre ihm, daß ältere Menschen oft nicht mehr so viel tragen können, und weil die Dosen nur einen Bruchteil der Pfandflaschen wiegen, kaufe ich eben die. Ich wohne immerhin in der vierten Etage. Und dann fällt mir zum Glück noch die Öko-Bilanz ein: Pfandflaschen müssen zurücktransportiert werden, und weil jede Brauerei ihre eigenen Flaschen hat, ist das ein riesiger logistischer Aufwand. Die Lastwagen sind schlimme Umweltsünder!
Und dann sage ich weiter: „Die Pfandflaschen müssen vor dem Neubefüllen mit einer ekligen, stinkenden Lauge gereinigt werden. Und dann muß man sie mit wertvollem Trinkwasser ausspülen, das dann einfach wegläuft, einfach so. Oder willst du aus einer Flasche trinken, in der vorher eklige, stinkende, braune und scharfe Lauge war?“
Der Kleine schaut mich an.
„Was ist Lauge?“
„Deine Mama wäscht deine dreckigen Hosen mit einer Lauge.“
„Ähhh!“
Obwohl ich nachdrücklich nicke, bleibt mein Enkel skeptisch. Meine Tochter lächelt, wenn auch ein wenig pikiert.
Sie kann sich mit Sicherheit nicht an eine Episode aus ihrer eigenen Kindheit erinnern. Sie hatte im Kindergarten gelernt, daß der Genosse Erich Honecker unsere Republik leitet und dafür sorgt, daß es allen Menschen gut geht, besonders den Kindern.
Es muß 1979 oder 1980 gewesen sein. Ich konnte das Kind doch nicht über die Probleme der Planwirtschaft aufklären! Und ich konnte ihm gleich gar nicht meine Probleme mit der Diktatur des Proletariats vermitteln. Also versuchte ich zu relativieren, und erklärte, daß er das nicht allein täte, und daß er kein allmächtiger Zauberer sei, wie der aus dem Märchen, das ich ihr vorgelesen hatte. Am Ende meiner Bemühungen hatte ich ein verstörtes und brüllendes Kind am Halse.
„Frau Schäfer hat aber gesagt!“ plärrte es.
Meine verärgerte Ehefrau nannte mich einen Idioten.
Nun, mein Enkel beginnt nicht zu brüllen, und meine Tochter würde mich nie einen Idioten nennen. Aber ein wenig verstört ist der Kleine schon.
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