Knappwurst

Knappwurst oder Knackwurst?

Essay über eine Wurst

von Bernd Mai

In einigen meiner literarischen Arbeiten spielt die „Echte Braunschweiger Wurst“ eine gewisse Rolle. Diese Wurst beziehungsweise ihr Verzehr war eines meiner prägenden Kindheitserlebnisse. Wir bezogen die „Echte Braunschweiger“ von meinen Tanten aus S., einem Dorf am Elm im Landkreis Wolfenbüttel in Niedersachsen. Der Elm ist ein bewaldeter Höhenzug zwischen Königslutter und Helmstedt im Norden sowie Schöppenstedt und Schöningen im Süden, und er bildet gewissermaßen den letzten Ausläufer der deutschen Mittelgebirge in der Norddeutschen Tiefebene. Helmstedt erwarb sich einen gewissen Bekanntheitsgrad als Grenzübergangsstelle an der innerdeutschen Grenze, Schöppenstedt gilt als Heimat Till Eulenspiegels, und soviel ich weiß, hatte Königslutter den Ruf, Standort einer großen und weithin bekannten psychiatrischen Anstalt zu sein. Von Schöningen weiß ich nur, daß dort in der Nähe acht Wurfspeere aus der Altsteinzeit in einer Braunkohlengrube gefunden worden sind. Aber das nur am Rande, genug kluggeschissen. Das Dorf S. ist etwa 12 km von Braunschweig entfernt, und ich nannte die Tanten deshalb der Einfachheit halber unsere „Braunschweigischen Tanten“. Sie waren Schwestern meiner Mutter, und heute sitzen sie sicher zu dritt auf ihrer Wolke und runzeln über unser Tun die Stirn.

In meiner kindlichen Unwissenheit galt mir die Wurst als „Knackwurst“. Ich erinnere mich aber, daß meine Mutter sie immer „Knappwurst“ nannte. Als Kind hinterfragt man nichts. Ich glaubte, meine Mutter hätte sich versprochen oder ich hätte mich verhört. Und ich störte mich auch nicht daran, daß sie eine völlig andere Beschaffenheit besaß, als die, die wir bei unserem Fleischer um die Ecke als „Knackwurst“ kauften. Er verkaufte auch eine Wurst, die sich „Braunschweiger Mettwurst“ nannte, aber diese Wurst hatte mit der Echten Braunschweiger gleich gar nichts zu tun.

Die Braunschweiger Wurst der Tanten war, abgefüllt in Büchsen, Bestandteile einer jeden „Geschenksendung, keine Handelsware“, die uns vor allem vor Weihnachten alljährlich erreichte. Unsere Lieblingstante Elfriede machte es sich zur Gewohnheit, uns jedes Jahr einige Wochen in Leipzig zu besuchen. Bei dieser Gelegenheit war eins der Mitbringsel auch immer eine Braunschweiger in Form eines frischen Wurstrings, der selbstverständlich viel besser schmeckte als die Büchsenwurst. Als man den Zwangsumtausch von West- in Ostwährung einführte, hörten diese Besuche auf, die Tante war eine „vertriebene Kriegerwitwe“ und konnte sich den Zwangsumtausch nicht leisten. Grund genug für mich, meinem Staat zu grollen, der mich sonst eigentlich nicht schlecht behandelte. Die Tante war nämlich eine wunderbare Köchin, und ihr Grünkohl und ihr Sauerfleisch sind noch heute in unserer Familie legendär. Meine Mutter war zu jener Zeit aber schon Rentnerin, was bedeutete, daß sie ungehindert in den Westen reisen durfte. Sie nahm diese Möglichkeit selbstverständlich wahr. Wie viele der Braunschweiger Würste, die sie jedes Mal mitbrachte, über das sogenannte „Begrüßungsgeld“ für die armen DDR-Rentner vom bundesdeutschen Steuerzahler finanziert worden sind, entzieht sich natürlich meiner Kenntnis.

Wenn Du in Sachsen, Thüringen und dem südlichen Teil Sachsen-Anhalts an der Wursttheke „Knackwurst“ verlangst, bekommst Du das hier:

Sächsische Knackwurst

Sächsische Knackwurst

Knackwurst besteht laut Wikipedia aus magerem Rind- und/oder Schweinefleisch, Speck und fettem Schweinebauch, mit Pökelsalz und Pfeffer gewürzt. Am Ende wird sie manchmal noch geräuchert, auf jeden Fall muß sie reifen. Der Name leitet sich einfach von dem knackenden Geräusch ab, das entsteht, wenn man in eine ordentlich zubereitete Wurst hineinbeißt. In manchen Gegenden wird sie auch „Bratwurst“ genannt. Das hat nichts mit dem Braten der Wurst in der Pfanne, sondern mit dem Wort „Brät“ für die rohe Wurstmasse zu tun. Wenn Du also in Thüringen, besonders in Ostthüringen, eine richtige Bratwurst für den Grill oder die Pfanne kaufen willst, mußt Du „Röster“ oder „Roster“ verlangen.

Die Knackwurst hat viele Verwandte: Knacker, Mettenden, Schinkenbeißer und so weiter. Es gibt sie mit Kümmel und mit Knoblauch, und die regionalen Varianten sind vielfältig. In jedem Falle aber ist es eine herzhafte, manchmal auch rustikale, Wurst, die ausgezeichnet als kleiner Imbiß geeignet ist. Man ißt sie kalt, vielleicht mit einem Brötchen, aber es gibt sie auch erhitzt. Dann ist sie besonders würzig. In deftige Scheiben geschnitten belegt man zum zweiten Frühstück oder zum Abendessen eine Butterbemme damit. Das richtige Getränk dazu ist Bier, besonders, wenn sie ein wenig zu salzig geraten ist.

Wenn Du jedoch in Braunschweig bei einem Schlachter eine Braunschweiger verlangst, bekommst Du das hier:

Braunschweiger Knackwurst

Braunschweiger Knackwurst (Quelle: Wikipedia / Monstourz)

Sie hängt in Ringen an den Fleischhaken und sieht von weiten wie frische Hausmacherleberwurst aus. Aber laut Wikipedia handelt es sich um eine fettreiche helle Wurst, die zu vier Teilen aus Schweinebauch ohne Sehnen und einem Teil Rückenspeck ohne Schwarte besteht. Das Fleisch und der Speck werden für die Herstellung gekuttert. Gewürzt wird die Wurstmasse in der Regel mit Salz, Pfeffer, Thymian, Kümmel und Knoblauch. Sie ist frisch oder geräuchert erhältlich, aber auch in Dosen. In jedem Fall ist sie streichfähig und wird als Aufstrich aufs Brot gegessen.

Bei meinen Recherchen habe ich leider feststellen müssen, daß der Begriff “Knappwurst“ offenbar aus der Mode gekommen ist. Im Artikel von Wikipedia, aus dem ich meine „Fachkenntnisse“ bezog, kommt der Begriff gar nicht vor. Dort wird sie nur „Knackwurst“ (!) genannt. Der Verfasser ist aber offenbar so klug gewesen, den ursprünglichen Namen im Thesaurus als Schlagwort anzugeben. Was also ist passiert?

Die Erfinder der Knappwurst waren die Harzer Bergknappen der vergangenen Jahrhunderte, daher der Name. Man förderte Erze, und die Vorkommen bargen eher geringe Mengen. War eine Grube erschöpft, erschloß man ein Stück weiter eine neue. So entfernten sich die Förderstellen immer weiter von den Wohnorten der Knappen. Irgendwann lohnte es es sich für die Bergleute nicht mehr, nach der Schicht nach Hause zu wandern. Also blieb man über die Woche am Schacht, und kehrte erst zum Wochenende, das aber auch nur immer aus dem Sonntag bestanden haben kann, nach Hause zu den Familien zurück. Die „Knappwurst“ mit ihrem hohen Fettanteil war als haltbare und schmackhafte Zehrung über die Woche zusammen mit einem Stück Brot oder einer Schüssel Gerstenbrei und Kapusta, wie der Kohl manchmal noch heute in Sachsen-Anhalt heißt, der geeignete Energielieferant. Ob die Knappen sich eine Blockhütte bauten oder ob sie im Stollen nächtigten, ist mir allerdings nicht bekannt.

Mit dem Ende des Erzbergbaus im Harz ging auch die Erinnerung an die „Wanderknappen“ und ihre wunderbare Wurst verloren, aber nicht die Wurst selbst! Sie lebt heute als Braunschweiger Knackwurst weiter. Und wenn es mich wieder einmal nach Braunschweig verschlägt, suche ich den nächsten Schlachter auf. Und dann werde ich an der Wursttheke stehen und laut und deutlich sagen: „Eine Knappwurst bitte, oder nein, gebe Sie mir besser zwei!“

* * *

© Bernd Mai, Leipzig Okt. 2014

2 Responses to Knappwurst

  1. Volker C. Jacoby says:

    Schön, diese Wurstgeschichte!

    Im Saarland versucht man seit langem schon, herauszufinden, warum die Fleischwurst hier „Lyoner“ heißt. Eine mögliche Erklärung hatte ich gefunden.

    Beste Grüße, Volker C. Jacoby

    (Gekürzt von Lipsiator)

  2. Renate says:

    – Toller Artikel – wieder viel gelernt. Bei uns ist eine Knackwurst eine Brühwurst, die es mit oder ohne Knoblauch gibt.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert