Die Bilanz eines freien Unternehmers
von Bernd Mai
Schon als kleiner Junge wußte ich, daß ich Koch werden wollte, nichts anderes. Nach der Schulzeit begann ich eine Kochlehre in einem renommierten Leipziger Hotel, und ich lernte noch, wie man aus Gewürzen, Knochen und Gemüse eine Soße zieht. Mein besonderes Interesse galt jedoch der kalten Küche, Buffets sind meine Spezialität. Ich war immer Koch, ob beim Feriendienst des FDGB, in Restaurants oder bei Großbetrieben, sogar meinen Wehrdienst leistete ich in der Küche ab. Bis zur Wende arbeitete ich im Hotel „Stadt Leipzig“. Als man es abriß, wurde ich arbeitslos.
Zufällig traf ich eine ehemalige Kollegin, die in einem Ferienheim im Harz in den siebziger Jahren meine Chefin gewesen war. Sie hatte eine Kateringfirma gegründet und stellte mich ein – manchmal helfen alte Kontakte eben doch, dachte ich. Bei ihr arbeitete ich ziemlich lange, und ich baute einen Partyservice auf, der bei den Kunden sehr beliebt war. Irgendwann aber wurde ich beim Bumsen mit einer Kollegin erwischt, dumm gelaufen! Man entließ mich sofort – trotz meiner Verdienste – wegen „Arbeitsmangels“, wie es offiziell hieß.
Später erfuhr ich, daß die Chefin mit mir ein übles Spiel trieb. Man hatte ihr nämlich angeboten, die Pausenversorgung in einem mittelständischen Betrieb, der Plastikteile für Sanitärinstallationen produziert, zu übernehmen. Nachdem sie hin- und hergerechnet hatte, stellte sie fest, daß es sich für sie nur durch Outsourcing lohnen würde. Zwei Wochen nach meiner Entlassung rief sie mich an, und fragte mich, ob ich als Selbständiger die Pausenversorgung übernehmen wolle. Sie würde die Speisen liefern, und ich würde sie verkaufen und damit viel Geld verdienen. Ich fand, das wäre eine Chance, gründete eine Firma, stellte meine Frau ein und unterschrieb jede Menge Verträge. Die Warnungen eines guten Freundes, der in einem Steuerbüro arbeitete, schlug ich in den Wind. Zu spät merkte ich, daß es Knebelverträge waren, dabei kannte ich damals das Wort noch gar nicht. Ich hatte mich verpflichtet, bestimmte Mengen und ein bestimmtes Sortiment abzunehmen, aber die Mitarbeiter der Plastikfirma waren ja so wählerisch! Ich habe viele Portionen wegwerfen müssen – aber bezahlen mußte ich sie trotzdem.
Erst der Justitiar der Plastikfirma half mir aus diesen Verträgen heraus. Jetzt kann ich selbst kochen, und das mögen meine Kunden, und ich bestelle bei meiner ehemaligen Chefin nur noch das, was ich zusätzlich wirklich brauche. Es ist sehr viel Arbeit. Urlaub ist ein Fremdwort und wir betreiben Selbstausbeutung. Sind Spätschichten und Sonntagsarbeit angesagt, müssen wir auch ran, um die Versorgung zu sichern. In der Küche gehört mir gerade mal der Satz Kochmesser. Alles andere – vom Mülleimer über die Herde bis zu den Kühleinrichtungen – gehört der Plastikbude. Auf meinem Schreibtisch stapeln sich unbezahlte Rechnungen und Mahnungen.
Es lohnt sich meist gar nicht, die Tageseinnahme bei der Bank einzuzahlen. Ich würde mich gern mal mit einem Würstchenstand an die Ecke stellen, um ein zweites Standbein zu haben, aber meine Lizenz beschränkt sich auf das Führen einer Kantine. Aber was solls! Noch leben wir, und es ist doch toll, ein freier Unternehmer zu sein, nicht wahr?
© 2010